Welche konkrete kreative Herangehensweise im Einzelnen für die KlientInnen gut geeignet ist, ist von unterschiedlichen Faktoren abhängig:
Beispielsweise von der Persönlichkeit der TherapeutInnen und KlientInnen, da nicht jeder für dieselben Dinge zu begeistern ist. Zeichnen könnte für jemanden z.B. eine Qual sein, für Imaginationen kann diese Person aber eventuell sehr offen sein. Zudem kann das Anliegen der KlientIn oder die gegebenen Rahmenbedingungen einen Hinweis auf die geeignete Methode/Übung geben. Der Zeitpunkt der Anwendung sollte laut den interviewten TherapeutInnen, Dr. Wiesmeyr und Dr. Vonwald vor allem intuitiv erfolgen, wenn man denkt, dass es in den gesamten therapeutischen Prozess „gut hineinpassen würde“ (Dr. Vonwald).
Mögliche kreative Methoden und Techniken bei denen es um Sinnorientierungs-Prozesse geht sind beispielsweise:
Die Technik Sinnbilder gestalten (Wiesmeyr, 2017): hier gestaltet der/die KlientIn ein Bild nach folgender Anleitung: „Gestalten Sie ein Bild, wie es wäre, wenn Ihr Leben sinnvoll verläuft, Sie gute zukünftige Entscheidungen treffen und sich sicher fühlen“. Dem Klienten können dabei unterschiedliche Materialien wie Malfarben, Buntstifte, Motiv-Kärtchen, Zeichenpapier etc. für die Gestaltung zur Verfügung gestellt werden. Der/die TherapeutIn kann den Sinnerspürungs-Prozess durch sokratische Fragen unterstützen. Zum Schluss soll sich der Klient räumlich zum gestalteten Bild positionieren, um auszudrücken und zu erspüren wie weit entfernt oder nah er sich diesem Bild fühlt.
Wiesmeyr (2008) beschreibt ein Fall-Beispiel: Beruflich und privat leide ein Klient (knapp 35 J.) zunehmend unter Spannungen und Unsicherheiten. Seine soz. Beziehungen seien geprägt durch wenig Solidarität und Gemeinschaftsgefühl. Ein inneres Bild, das ihm Orientierung vermittle oder ihn anleite, den für ihn richtigen Weg zu gehen, sei nicht vorhanden. Aus dieser Ausgangssituation wird folgendes Therapieziel formuliert: Er möchte für sich gute Entscheidungen finden und wieder sicherer werden. In seinem Beruf und im Leben allgemein wolle er mehr Sinn erfahren. Im Verlauf des länger dauernden Therapieprozesses gestaltet er folgendes Sinnbild:
Er gestaltet nach einigen Änderungen eine symmetrisch- blumenähnliche Figur in den Farben orange, rot und gelb. Dieses Gebilde umschließt er mit einer mehrfärbigen Spirale, die mit einer kleineren Blüte/Knospe endet. Mit einer kaum sichtbaren Linie unterbricht er die Verbindung zur Spirale. Diese Linie wäre eine Barriere, die zum Bild gehöre. Nach einer halben Stunde ist er mit seinem Bild fertig. Dr. Wiesmeyr bittet ihn sein Bild aus verschiedenen Positionen anzusehen. Er stellt sich neben die kaum sichtbare Linie und beschreibt schließlich seine derzeitige Suche nach Orientierung und Klarheit. Die Barriere würde für ihn vorrangig seine beschriebenen Schwierigkeiten in seiner Institution und seine eigene Unentschlossenheit darstellen. Auf die Frage ob es eine Position gäbe, die er liebe einnehmen würde, antwortet der Klient: „Ich möchte mich in die Mitte stellen, aber dann sehe ich das Bild nicht mehr. Zudem habe ich Angst davor.“ Auf die Ermutigung es auszuprobieren, stellt er vorerst fest, dass er sich unwohl fühle. Dr. Wiesmeyr bietet ihm an „die Augen zu schließen und bei Bedarf heraus zu gehen“. Klient: „Irgendwie berührt es mich, ich habe nun auch keine Angst mehr“. Nun beginnt er die Spirale bedächtig abzugehen und meint überzeugt: „Mein Weg geht von der Mitte nach außen. Umgekehrt passt es nicht für mich“. Die Barriere sei für ihn nicht mehr „so wichtig“, sie würde „mit dem Blütentrieb zusammenwachsen und zum Bild gehören“. Die geeignete Position sei für ihn vor der Knospe, hier fühle er sich „frei und offen.“ Er meint auf die Frage was er sich mitnehmen möchte: „Ich habe gemerkt, dass ich meine Angst vor dem Kommenden überwinden kann. Ich habe für mich eine wertvolle Metapher gefunden: Mein Weg führt von der Mitte nach außen. Dieser Metapher und das gesamte Sinnbild hätten in der Folge den weiteren Therapieprozess bereichert.
Die Wertorientierte Imagination (Böschemeyer, 2005): Innerhalb einer Imagination werden die Wertkräfte in Form von Personifizierungen gebeten sich dem Imaginanden zu zeigen. Die Wert-Gestalten, wie z.B. die „Mutigen“, die „Sinn-Sucher“ die „Heiler“ können den Klienten dann z.B. zum Ort des „inneren Friedens“ der „Gelassenheit“, der „inneren Heilkräfte“ etc. führen.
Die Übung Vision-Ich (Ettl, 2018): Der/die KientIn wird angeleitet ein umfassendes Bild zur eigenen Persönlichkeit zu entwickeln, das zustandekommen soll, wenn die Ziele der Psychotherapie/Beratung erreicht wären. Das Bild soll auf der aktuellen Person beruhen, es sollen hier jedoch nur die Bereiche umgestaltet und weiterentwickelt werden, die dem Klienten einen Leidensdruck erzeugen, Ausdruck eines selbstschädigendem Verhaltens wären oder die eigene Entwicklung stören/blockieren würden. Es soll möglichst vollständig bezüglich den eigenen Werten/Einstellungen/Verhaltensweisen, aber auch der Körperwahrnehmung und dem äußeren Erscheinungsbild sein. Das Vision-Ich soll am besten gemeinsam mit der TherapeutIn nachbesprochen werden.
Die existenzanalytische Traumdeutung: Auch in Bezug auf die Traumdeutung und der Verknüpfung von Trauminhalten kann von einer unbewussten Sinnhaftigkeit ausgegangen werden, die wieder ins Bewusstsein gehoben werden kann. Die Besonderheiten in der Sinn-Wahrnehmung (siehe im Obigen) können hier zum Einsatz kommen.
Beobachtbare positive Wirkungen und Rückmeldungen der KlientInnen
- Die Sinnbildarbeit löst oft Staunen und Begeisterung aus, wenn Zusammenhänge eigener Lebensthemen erkannt werden
- Selbst-, Fremd- und Weltbilder können sich in größere, integrierte, reifere Bilder und Einstellungen entwickeln
- Fördert Erkenntnisprozesse und wirkt Identitätsstiftend – durch die Bewusstwerdung der inneren Bilder wird ein in ihnen bereits angelegtes unbewusstes Material in die Bewusstheit gehoben und neu integriert
- alle positiven Nebenwirkungen von Sinn- und Werterfassung und Umsetzung. Wie zum Beispiel das Gefühl größerer Erfülltheit/Dankbarkeit vs. Mangeldenken und Angstgefühlen
- vor dem Hintergrund eines unbedingten Sinns im Leben kann die eigene Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mit allen Herausforderungen und schmerzhaften Erfahrungen positiver interpretiert werden. Schwierigkeiten werden vielmehr als Einladungen des Lebens gesehen, eigene Werte zu verwirklichen und an den Herausforderungen der Welt zu wachsen.
Ausblick und eigene Erfahrung
Die Arbeit mit Sinn-Bildern ist keine einzelne konkrete Methode, sondern vielmehr eine Haltung/Ausrichtung in der Arbeit mit kreativen Medien und der Symbolik. Die heilsame Wirkung einer sinnorientierten Lebensweise ist bereits durch wissenschaftliche Studien zur Sinnforschung mehrfach belegt. Durch diese Haltung ergeben sich wie angeführt einige Besonderheiten und Unterschiede im Vergleich zur Methodenarbeit anderer therapeutischen Richtungen.
Ich selbst habe die Erfahrung gemacht, dass es in der praktischen Arbeit hier oft nur ganz wenig braucht – die KlientInnen sprechen oft von selbst ihre Träume, ihre Lieblingsmusik- oder Bücher, die Bedeutung ihrer Tattoos oder die Helden ihrer Kindheit an. Unbewusst sprechen sie damit bereits ihre inneren Bilder und dazugehörige Gefühle und Gedanken an, die man therapeutisch aufgreifen kann. Die Symbolik und die kreativen Techniken dienen hier lediglich als Hilfsmittel und Erweiterung der Ausdrucksmöglichkeit um die Prozesse der Sinnwahrnehmung und -verwirklichung zu unterstützen. Um den Fokus auf dem Wesentlichen zu belassen und sich nicht zu sehr zu verlieren/abzulenken im kreativen tun ist es manchmal ratsam sich auf die Sinnorientierung rückzubesinnen – It´s all that you need.
Literatur
Böschemeyer, U. (2005). Unsere Tiefe ist hell. Wertimagination – ein Schlüssel zur inneren Welt. Gebundenes Buch, Pappband, Kösel Verlag.
Böschemeyer, U. (2009). Vertrau der Liebe, die dich trägt. Von der Heilkraft biblischer Bilder. München: Kösel Verlag.
Ettl, B. (2018). Lehrveranstaltung und Handout im Rahmen des Fachspezifikums für Existenzanalyse und Logotherapie.
Frankl, V. (2014). Ärztliche Seelsorge. Grundlagen der Logotherapie und Existenzanalyse (11. Auflage). München: Deutscher Taschenbuchverlag (Original erschienen 1946).
Wiesmeyr, O. (2008). Sinnbilder und ihre Bedeutung für zukünftiges Handeln in Beratung und Psychotherapie. Vortrag Tagung „Zukunftsbilder“, Universität Linz
Wiesmeyr, O. (22.10.2017). Spezielle Theorie: Logotherapeutische Techniken und ihre Anwendungen. Lehrveranstaltung und Handout im Rahmen des Fachspezifikums für Existenzanalyse und Logotherapie.
Abb.1.: Unsplash / © Alex Azabache, 2019
Abb.2.: Unsplash / © Sig_ Sigmund, 2017
Die gesamte Masterarbeit ist nachzulesen im Online-Katalog der Donau-Universität Krems, unter: webthesis.donau-uni.ac.at/thesen/200695.pdf