Sinn­erfüllt bis zum Lebens­en­de — LT&EA in der Beglei­tung älterer Menschen

Nirgendwo wird man sich der Endlichkeit des Lebens so bewusst wie im Umgang mit älteren Menschen. Die Sinnfrage trifft dabei jeden Menschen – die Alternden, die Angehörigen und die Pflegekräfte.

Das Ziel der Logotherapie ist es die Sinnhaftigkeit auch in dieser Lebensphase bewusst zu machen und sich gemeinsam auf die Sinn-Suche zu begeben.

Mit Hilfe der Logotherapie ist es auch möglich, Wege aufzuzeigen, wie mit der sogenannten „tragischen Trias” – Leid, Schuld und Tod (Frankl) umgegangen werden kann, die wohl vor niemandem halt macht. Nach Viktor Frankl macht der „unzerstörbare geistige Personenkern“ den Menschen erst zum Menschen und befähigt ihn bestmöglichst mit schwierigen Erfahrungen und einer schwindenden physischen oder seelischen Vitalität umzugehen.

Wie können sich Sinnkrisen bei älteren Menschen äußern?

Laut Bruckler (2013) kann man Sinnkrisen bei älteren Menschen vor allem durch folgende Aspekte erkennen:

  • Einsamkeits- und Verlassenheitsgefühle
  • Klagen und Verurteilen anderer
  • Enttäuschung
  • Bitterkeit
  • Verzweiflung
  • Schuldgefühle und Schuldzuweisungen
  • Selbstmitleid
  • Tränen
  • Todeswunsch
  • das Gefühl eine Belastung für andere zu sein
  • Sieht den Wert des (eigenen) Lebens nicht mehr


Zu den Gründen und Faktoren, die im Alter die Entstehung einer Sinnkrise begünstigen können, fallen beispielsweise:

  • zunehmende körperliche und geistige Einschränkungen
  • Finanzielle Belastung
  • Kein oder wenig Besuch von Angehörigen; Einsamkeit
  • Verlust von nahestehenden Personen durch Tod; Umzug..
  • Aufgabe der Wohnung und des ehemaligen Umfeldes
  • Viel Zeit zum Nachdenken; Wegfall von früheren Hobbies
  • Seelische Belastungen
  • Lebensende; Angst vor dem Sterben
  • Negative Lebensbilanz; Selbstvorwürfe
  • gefühlte Versäumnisse/offen gebliebene Themen

Ziele bei der Begleitung alternder Menschen

Riedel, Deckart und Noyon (2002) formulieren 4 Ziele, die gemeinsam mit den alternden Angehörigen fokussiert werden können um neue Perspektiven zu eröffnen:

  1. Neubewertung der Herausforderungen des Alters: Weltbild und Selbstwahrnehmung orientieren sich an anderen Werten – die Produktivität nimmt ab, in der Einstellungsarbeit kommen Dankbarkeit für Erreichtes und auch Erspartgebliebenes in den Mittelpunkt
  2. Anleitung zu einer konstruktiven Lebensbilanz: Loslassen von Lebensbereichen im Sinne eines Überantworten des Gelebten an die Vergangenheit.
  3. Vorbereiten auf das Ende des Lebens: Wahrnehmung des Gelungenen und Auseinandersetzung mit Schuld
  4. Motivation zu einem kreativen Umgang mit den Möglichkeiten und Fähigkeiten des Alters:

Uwe Böschemeyer formuliert: „Das was mir in dieser Situation begegnet, was mir heute vom Schicksal zugeteilt ist, was mich heute zum Leben herausfordert, ist die Gelegenheit, meine Dasein zu bereichern – hier an diesem Ort, jetzt in dieser Zeit, hier und jetzt. Die wichtigste Aufgabe an der Übergangsstelle zum Alter ist diese: die verbliebenen, die veränderten und die neuen Möglichkeiten miteinander sinnvoll zu verbinden und ein freies Ja zur neuen Zeit zu finden.“

Aspekte zur Bewältigung von Sinnkrisen

Der Aufgabencharakter des Lebens bis zum Schluss:

„Das Leben selbst ist es, das dem Menschen Fragen stellt. Er hat nicht zu fragen, er ist vielmehr der vom Leben her Befragte, der dem Leben zu antworten hat – das Leben zu ver-antworten hat.“ (Viktor Frankl)

Das Leben fragt uns nicht in Worten, sondern in Form von Tatsachen, vor die wir gestellt werden, und wir antworten ihm auch nicht in Worten, sondern in Form von Taten, die wir setzen; insofern wir auf die Tatsachen erst zu antworten haben, stehen wir vor unvollendeten Tatsachen. Die Tatsachen des Lebens zu einer würdigen Vollendung zu bringen, indem bestmögliche Antworten darauf gefunden und gegeben werden, dazu will die Logotherapie ihren Klienten verhelfen. Demnach hat jeder alte Mensch bereits eine Fülle von schwierigen Lebenssituationen bewältigt. Die dadurch erworbenen Fähigkeiten qualifizieren ihn als Spezialisten für genau jene Krisensituationen, die er selbst erfolgreich überwunden hat. Selbst wenn ein alternder Mensch bereits weniger körperlichen/mentalen/emotionalen Gestaltungsspielraum haben sollte, so liegt die letzte Sinnverwirklichungsmöglichkeit immer noch in der persönlichen Einstellung, wie diese Gegebenheiten getragen werden. (Frankl, 2007)

 

Die Bewältigung der „Tragischen Trias“

Ist sogar in und trotz der tragischen Trias – Leid, Schuld, Tod (Frankl) ein Sinn zu finden?

Frankl führt dazu ein Beispiel eines Überlebenden des Holocaust an: „Und da fragte sich Yehuda Bacon, was für einen Sinn die Jahre gehabt haben mochten, die er in Auschwitz verbracht hatte: ‚Als Knabe dachte ich, ich werde der Welt schon sagen, was ich in Auschwitz gesehen habe – in der Hoffnung, die Welt würde einmal eine andere werden. Aber die Welt ist nicht anders geworden, und die Welt wollte von Auschwitz nichts hören. Erst viel später habe ich wirklich verstanden, was der Sinn des Leidens ist. Das Leiden hat einen Sinn, wenn du selbst ein anderer wirst’.


1. Umgang mit Leid:

Die Begegnung mit dem Schmerz gibt uns die Möglichkeit, Leiden in eine menschliche Leistung zu verwandeln, das Leid aktiv anzunehmen, zu gestalten und in ihm einen Sinn zu entdecken. „Wer ein warum zum Leben hat erträgt fast jedes wie“ (Viktor Frankl)

Frankl interpretiert Leiden vierfach:

  • als Leistung: die innere Bewältigung eines äußeren Schicksals
  • Grund für Wachstum: in dem ich ein Leiden auf mich nehme, d.h. in mich aufnehme, wachse ich, erfahre ich einen Zuwachs an Kraft – dies hilft, das Schicksal zu bewältigen
  • Grund für Reifung: Ausdruck der inneren Freiheit, mit dem Schicksal gelassen und konstruktiv umzugehen
  • grundlegende Bereicherung: der Mensch wird hellsichtig und die Welt für ihn durchsichtig auf ihren tragenden Grund – das Sein wird transparent in eine metaphysische Dimension

(Lukas, 1990)


2. Umgang mit Schuld:

Die Begegnung mit Schuld gibt uns die Gelegenheit, aus unserer Vergangenheit zu lernen und aktiv handelnd zu besseren Menschen zu werden. Schuld gibt uns die Chance zu sinn-voller Transformation.

Anleitung zu einem konstruktiven Umgang mit Schuld:

  • Einsicht in die Verantwortlichkeit: Wir sind verantwortlich für das, was wir an andere weitergeben – auch Kränkungserlebnisse, bewusst oder unbewusst. Dadurch wird Leid schuldhaft vermehrt
  • Wahrnehmung der Freiheit der Einstellung gegenüber dem Schicksal: Elisabeth Lukas formuliert: „Auch gegenüber begangener Schuld gibt es wieder die Möglichkeit, eine sinnvolle Antwort zu wählen, sinnvoll darauf zu reagieren.“ Schuld legt das Leben nicht fest, wir können dazu Stellung nehmen und uns verändern, auch wenn wir ein sinnwidriges Handeln und ein Sinnversäumnis nicht rückgängig machen können.
  • Unterscheidung zw. berechtigten und unberechtigten Schuldgefühlen: Unberechtigte Schuldgefühle haben oft die Ursachen in Depressionen oder einer Zwangsproblematik. Hier muss sich das therapeutische Augenmerk auf dieses Problem legen. Sie können aber auch einer Fehleinschätzung der Lebenslage entspringen, dann gilt es abzuklären, wie in der tatsächlichen Situation das Verhältnis zwischen Freiraum und schicksalhafter Bedingtheit war.
  • Wiedergutmachung und Reue: Komme ich nach diesen Überlegungen zum Schluss, dass tatsächlich ein schuldhaftes Handeln bzw. Unterlassen vorliegt, so gibt es nach E. Lukas 3 Wege:
  1. Wiedergutmachung am betroffenen Menschen (mündet in der Bitte um Verzeihung, dadurch kann Versöhnung möglich werden)
  2. stellvertretende Wiedergutmachung an einem anderen Menschen
  3. Reue auf moralischer Ebene: als ein Akt innerer Wandlung die zu einer Versöhnung mit sich führt und so zu einer Persönlichkeitsentwicklung beiträgt.


3. Umgang mit dem Tod:

Die Begegnung mit dem Tod gibt uns Gelegenheit, die Vergänglichkeit des Lebens wertzuschätzen, die unwiederbringliche Einmaligkeit jedes Augenblicks zu realisieren und dies als Auftrag zu verstehen, unser Leben verantwortungsvoll zu gestalten.

Die Jugend ist also die Phase der Möglichkeiten, das Alter hingegen die Phase der Wirklichkeiten: der ergriffenen Chancen, der ge- und erlebten Liebe, der durchlittenen Leiden. Gerade die Bewältigung schicksalhafter, schwerer Phasen ermutigt im Alter zu Stolz und Zufriedenheit.

Verdeutlicht hat Viktor Frankl diese Haltung im „Scheunen-Gleichnis“: „…So ist der Mensch geneigt, an den vergangenen Dingen nur zu sehen, dass sie nicht mehr da sind; aber er sieht nicht, in welche Speicher sie gekommen sind. Er sagt dann, sie sind vergangen, weil sie vergänglich sind – aber er sollte sagen: vergangen sind sie; denn ‚einmal‘ gezeitigt, sind sie ‚für immer‘ verewigt.“ (Frankl, 1997)


Aspekte zur Bewältigung der Vergänglichkeit:

Elisabeth Lukas (1994) unterscheidet hier folgende Personengruppen:

  • Die Gesunden, Kräftigen: sie gewinnen Gelassenheit, wenn sie erkennen, dass kein privates und berufliches Engagement umsonst ist, weil sich alles Verwirklichte verewigt.
  • Die Alten, Schwachen: sie können ihre Vergangenheit als sicher geborgenen Lebensschatz betrachten und stolz sein auf das Geleistete und dankbar für das Geschenkte. Damit gewinnen sie auch Unabhängigkeit von der Anerkennung durch andere Menschen. Und sie können die Zeit noch nützen, „Ordnung in die Scheune zu bringen“ – manches abzurunden, zu versöhnen und letztendlich Frieden zu schließen.
  • Die Angehörigen und Pflegekräfte können in den Alten ihre Lehrmeister sehen, die an Erfahrungen voraus sind. Die Fülle des gelebten Lebens imponiert in ihrer Unvergänglichkeit, unabhängig von dem Nachlassen der körperlichen Fähigkeiten.
  • Die Angehörigen können sich mit dem bevorstehenden Verlust auseinandersetzen und sich bewusst machen, dass auch dadurch die gemeinsam verbrachte Zeit nicht ausgelöscht wird.
  • Die Pflegekräfte können die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit erkennen: sie unterstützen Menschen dabei, die Erntezeit ihres Lebens zu einem bestmöglichen Abschluss zu bringen.

Literaturverzeichnis und zum Weiterlesen:

Bruckler, I. (2013). Pflege alter Menschen. Wien: facultas Universitätsverlag

Böschemayer, U. (1977). Die Sinnfrage in Psychotherapie und Theologie. Berlin: de Gruyter 

Frankl, V. (2007). Ärztliche Seelsorge: Grundlagen der Logotherapie und Existenzanalyse. München: Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG

Frankl, V. (1998). Der leidende Mensch. Bern: Verlag Huber, 2. Auflage

Frankl, V. (1997). Der Wille zum Sinn. München: Verlag Piper

Lukas, E. (1990). Geist und Sinn. München: Psychologie Verlags Union

Lukas, E. (1994). Alles fügt sich und erfüllt sich – Die Sinnfrage im Alter. Gütersloh: Verlag Quell, 5. Auflage

Riedel, Deckart, Noyon (2002). Existenzanalyse und Logotherapie – Ein Handbuch für Studium und Praxis. Darmstadt: Primus Verlag

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